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Angriffskrieg als bleibende Mahnung

20. Jun 2011

Am 22. Juni 1941 begann der militärische Überfall des nationalsozialistischen deutschen Reiches auf die damalige Sowjetunion. Mit diesem „Unternehmen Barbarossa“ genannten Angriff trat der Zweite Weltkrieg in Europa in eine neue Phase der Eskalation, die zu Recht als Vernichtungskrieg bezeichnet wird.

Sein Ziel war die militärisch und wissenschaftlich geplante und vorbereitete Eroberung eines „Lebensraums im Osten“ für das nationalsozialistische Deutschland.

In einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß wurden gegenüber den Soldaten des Gegners kriegsvölkerrechtliche Regeln überschritten und militärische Mittel auch gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener war bewusst mit Abstand schlechter als die von westlichen alliierten Truppenangehörigen, die Politik der „verbrannten Erde“ zerstörte in großem Umfang die Lebensgrundlage der Bevölkerung und fordert in der ehem. Sowjetunion die mit Abstand höchste Zahl an Opfern unter der Zivilbevölkerung aller am II. Weltkrieg beteiligten Staaten.

Der militärische Angriff setzte aber auch den Rahmen für die erste Stufe der Vernichtung der europäischen Juden. Mit Duldung, in Zusammenwirken oder mit direkter Beteiligung ermöglichte die deutsche Wehrmacht diesen Massenmord der sog. Einsatzgruppen und anderer Sondereinheiten, etwa die Hälfte aller im Holocaust getöteten jüdischen Bewohner Osteuropas kamen hierbei um.

Über 10 Millionen Menschen wurden zur Zwangsarbeit in den besetzten Gebieten eingesetzt oder in das Deutsche Reich verschleppt. Ihre Geschichte wurde am längsten verdrängt, galt doch ihr Schicksal als am wenigsten bedeutsam und nicht besonders tauglich, um heroische Narrative in den jeweiligen Gesellschaften zu begründen. Für etliche der zur Zwangsarbeit eingesetzten sowjetischen Kriegsgefangenen und italienischen Militärinternierten ist auch noch keine Entschädigung erfolgt.

70 Jahre nach den Ereignissen werden die persönlichen Erinnerungen in Deutschland wie in beteiligten Ländern – heute vor allem Russland, Weißrussland und die Ukraine – Geschichte, sind Bestandteil eines kollektiven Gedächtnisses und unterschiedlicher Erinnerungskulturen. Mit der Einheit Deutschlands, dessen Teilung durch den Krieg verursacht wurde, ist die „Nachkriegszeit“ abgeschlossen und die Möglichkeit eröffnet, die Geschichte gemeinsam anzuschauen.

Dies kann geschehen, indem die Gräber der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter bewusst besucht und in der Öffentlichkeit deutlicher wahrgenommen werden. Denn auch nach einer in den letzten Jahren abgeschlossenen gewissen materiellen Entschädigung bleibt es eine dauerhafte Aufgabe, diese Toten des Krieges nicht in Anonymität oder Vergessen ein zweites Mal zu verlieren. Die Erhaltung des Andenkens an sie in Deutschland bedeutet den Menschen in ihren jeweiligen Herkunftsländern in Osteuropa viel.

Zum Wissen um die Kriegsereignisse und Militärgeschichte gehört auch die Anerkennung der Deserteure und Kriegsgegner - etwa 30 000 Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und wegen Kriegsverrat Verurteilte wurden hingerichtet - und der wenigen Kriegsdienstverweigerer aus dem Bereich der katholischen Kirche. Namentlich sind bisher nur einige bekannt, zu nennen sind hier Max-Josef Metzger, Franz Jägerstätter, Michael Lerpscher, Josef Ruf, Richard Reitsamer, Ernst Volkmann und Franz Reinisch. In einer katholischen Kirche, die zwischen Anpassung und Widerstand schwankend, letztlich Teil einer mobilisierten Kriegsgesellschaft war, hatten sie keinen Rückhalt, ihre juristische Rehabilitierung kam spät.

An der Kriegsführungsfähigkeit des NS-Staates waren die Kirchen nicht unbeteiligt. Durch Aufrechterhaltung eines moraltheologisch mit Eid und Gehorsam begründeten Verständnisses soldatischer Pflichterfüllung und eines Verständnisses von Krieg als quasi-natürlichem Recht des Staates wurde - auch bei Ablehnung des Nationalsozialismus als Ideologie – ihr Beitrag zu einer durchgreifend mobilisierten Kriegsgesellschaft geleistet. Umso bedeutsamer wäre auch heute noch eine Erklärung deutscher Bischöfe an – wenn auch nur wenige noch lebende – ehemalige Soldaten, sich in der Beurteilung des Krieges entscheidend geirrt zu haben.

Die historische Erfahrung der Eskalation des Krieges ist aber auch Mahnung und Korrektiv im Hinblick auf die Veränderung der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“. Gerade wenn bei der Neukonzipierung von verteidigungspolitischen Richtlinien und ähnlicher Militärdoktrinen wirtschaftliche Belange und Interessen Deutschlands wieder in den Vordergrund rücken, kommt es entscheidend darauf an, militärische Mittel strikt an internationales Recht zu binden und Kriege sowohl durch zivile Krisenprävention wie auch durch Eindämmung von Rüstungsproduktion und -export zu verhindern.